Wie gestern schon einige ahnten, wurde Oma ins Krankenhaus gebracht. Ich erhielt einen Anruf vom Pflegeheim, dass Oma ins Krankenhaus gebracht würde und es “sähe nicht gut aus”. Oma war sehr schwach und war nicht ansprechbar. Sie hatte bereits einen Tag vorher einen Notarzt da, über den ich noch nicht informiert war.

Da gehen einem alle möglichen Gedanken durch den Kopf. “Es sieht nicht gut aus” – der Satz hallte in mir nach.

Die schwere Entscheidung

Als ich 2 Stunden später wie vereinbart mit der Ärztin im Krankenhaus sprach, sah es dank einer Infusion schon besser aus aber ich wurde gefragt ob ich Reanimations-Maßnahmen im Fall der Fälle wünsche oder nicht.

Ich wusste immer, dass diese Frage mir eines Tages gestellt werden wird.
Ich wusste immer, dass ich dann entscheiden muss.
Ich hatte bereits Gespräche mit meinem Onkel und meiner Großtante darüber geführt und ganz früher auch mit Oma selbst.
Ich wusste immer, dass es auf mich zukommt.

Ich wusste nicht, wie schwer es mir dann fallen wird, die Antwort zu geben.
Ich wusste nicht, wie sehr ich danach mit mir hadern würde.
Ich wusste nicht, wie extrem Herz und Kopf miteinander kämpfen würden.
Ich wusste nicht, wie weh eine richtige Entscheidung tun kann.

Auf die Frage antwortete ich mit:
“Nein, führen sie keine lebenserhaltenden Maßnahmen durch.”

Es nützte mir innerlich wenig, dass bei weiteren Gesprächen mein Onkel, meine Mutter, mein Bruder, mein Mann und die Schwester meiner Oma mich in dieser Entscheidung unterstützten. Es nützte mir emotional wenig, dass ich weiß, dass Oma genau diesen Wunsch so gehabt hat. Es nützt wenig dass die Ärztin diese Entscheidung ebenfalls als die richtige Entscheidung ansieht.

Ich weiß, es ist die richtige Entscheidung.
Ich weiß, ich handel damit im Sinne meiner Oma.
Ich weiß, dass es so besser ist, im Fall der Fälle.

Doch wiegt die Last auf den Schultern schwer, die Entscheidung wirklich getroffen zu haben.

Nein, ich werde daran nicht zugrunde gehen.
Nein, ich komme natürlich damit klar.
Nein, ich werde mir nie vorwerfen, meiner Oma vielleicht ein paar Tage, Wochen oder Monate ihres Lebens damit verkürzt zu haben.

Da braucht sich niemand Sorgen um mich machen.
Ich nehme aber sehr bewusst wahr, was diese Entscheidung bedeutet und wie sie sich anfühlt.

Diese Entscheidung ist in meinen Augen die größte Bürde, die ich als Betreuerin meiner Oma zu tragen habe und gleichzeitig die wichtigste Entscheidung, die ich im Sinne meiner Oma zu fällen habe.

Omas Zustand gestern

2013-06-28 18.41.29Am Nachmittag fuhren mein Bruder und ich zu Oma ins Krankenhaus. Als wir ins Zimmer kamen, lag sie wie im Delirium in ihrem Bett. Halboffene Augen, stöhnte vor sich hin. Sie war nicht ansprechbar. Sie schlief mehr als dass sie wach war. Ich griff ihre Hand, die sie mit Kraft packte. Irgendwann erwachte sie richtig und sah mich mit großen Augen an. Ich konnte nicht sagen ob sie mich erkannte oder nicht. Sie sagte kein Wort, schaute uns nur immer wieder an und starrte danach auf irgendwelche Punkte. Immer wieder ging ihr Blick ins Leere. Ich war erschrocken, denn Oma wirkte mehr tot als lebendig. Wie ich später erfuhr war es morgens noch schlimmer gewesen, weswegen auch die Aussage “Es sieht nicht gut aus.” absolut berechtigt war.

Eine Schwester kam hinzu und drehte Oma auf den Rücken und stellte das Kopfteil hoch, damit Oma essen konnte. Oder sagen wir eher, damit wir sie füttern konnten. Bis zum Oberschenkelhalsbruch Anfang Mai bestand unsere Aufgabe nur darin, Essen für Oma zu schmieren und zu kochen. Da aß sie noch allein. Jetzt hatte sie keinerlei Ansporn zu essen oder zu trinken. Mein Bruder fütterte Oma mit einem Joghurt  und ich schnitt das Brot in kleinste Stücke und brauchte für das Füttern einer halben Scheibe Brot mehr als 45 Minuten. Doch immerhin trank sie gut 350ml mit meiner Hilfe aus einer Schnabeltasse, was mich sehr freute.

Wir redeten mit Oma doch sie reagierte meistens gar nicht. Sie starrte ins Leere, nahm uns nicht wahr. Kam ich mit einem Stück Brot, machte sie den Mund auf und kaute und manchmal sagte sie nein. Hin und wieder wollte sie etwas erzählen aber es kamen nur 3 Worte und dann Unverständliches.

Aber Oma ist noch nicht ganz weg. Es gab 2 Momente wo meine Oma durchblitzte.

Ich gab Ihr Tee zu trinken, der wirklich nicht mehr warm war, aber sie wohl temperaturtechnisch überraschte. Nach dem Absetzen der Schnabeltasse sagte sie laut und deutlich: “Bist Du verrückt?”
Sie guckte dabei mal wirklich mich an. Doch gleich eine Sekunde später ging ihr Blick wieder ins Leere.

Und eines fand ich besonders schön. Auch wenn es nur ein Minimoment war:

Ich bestellte Ihr schöne Grüße von ihrem Sohn, woraufhin ihr Blick sich verklärte und sie lächelte. Sie drehte den Kopf zu mir, schaute mich direkt an und sagte: “Ihr wisst gar nicht, wie glücklich ich bin.”
Leider war sie sofort danach wieder weggetreten, doch war es ein wundervoller Moment. Ein Stück meiner Oma war zu erleben.

Der Zustand heute

Ich habe gerade eben mit der Klinik telefoniert. Oma geht es soweit gut. Sie isst und trinkt bei Anreichung. Sie guckt durch die Gegend aber redet kein Wort. Ich würde sowas Locked-In nennen. Es sieht für mich nach dem letzten Stadium der Demenz aus in der diejenigen sich komplett von der Außenwelt abschalten. Das ging wirklich schnell, dass sie in diesen Zustand fiel. 🙁 Eine wirkliche Unterhaltung wird somit wohl nie wieder möglich sein. Die Momente in denen man es dann noch schafft, sie zum Lächeln zu bekommen, werden somit die Wertvollsten sein.

Wie geht es weiter?

Am Montag werden wir mehr erfahren. Ich werde ihr wohl eine Sonde legen lassen so dass die Flüssigkeitszufuhr im Heim über diese geregelt werden kann. In jedem Heimalltag geht das Achten aufs Trinken leider verloren. Das ist in jedem Heim so, egal wie gut es ansonsten ist. Dann muss man sehen was mit Omas Fuß ist. Sie hat durch den Rollstuhl eine offene Wunde an der einen Hacke. Das muss gut behandelt werden. Und wieso sie schon so lange Durchfall hat, wird wohl auch abgeklärt werden.