Das Buch “Digitale Demenz” von Manfred Spitzer beherrscht momentan die Bestsellerlisten. Ich hatte das Buch einmal auf meiner liebsten Buchverkaufsplattform gesehen, mich kurz durch die Inhaltsangabe gelesen und mir gedacht: Was ein Mist. Schon wieder so ein Ich-bin-schlauer-als-die-Welt-und-muss-Euch-warnen Kram.”
Der Inhalt des Buches lautet ungefähr so:
Durch die ganzen Computer, durch die Technik, durch das Internet – einfach durch die digitalen Medien verlernen wir zu denken und Wissen zu speichern. Wir müssen uns nichts mehr merken, wir ergoogeln uns die Welt. Dadurch entstehen Übergewicht, Ängste, Abstumpfung, Depressionen Gewaltbereitschaft, Schlafstörungen und sozialer Abstieg.
Nun bin ich durch die Sendung “Log In” des ZDF, in welcher Manfred Spitzer und Johnny Haeusler eingeladen waren um über das Thema zu sprechen, nochmal auf das Thema aufmerksam geworden und möchte nun auch meine 2 Cents dazugeben. Die Sendung könnt Ihr aktuell in der Mediathek ansehen.
Kontrolle abgeben
Sehr spannend finde ich das Argument, dass wir Kontrolle abgeben wie zum Beispiel dass das Smartphone uns weckt. Wurden wir nicht schon immer von Dingen geweckt? Den Wecker gibt es nicht erst seit gestern und wenn wir noch weiter zurück blicken so ist das Aufstehen mit dem ersten Hahnenschrei ja wohl auch eine Art Wecker oder nicht? Wir gaben schon immer Dinge ab. Wir schrieben Telefonnummern in ein Telefonbuch, schrieben Termine in den Terminplaner und Geburtstage ebenso. Heute tippen wir die Dinge ein statt lauter Papier mit uns rumzuschleppen und die Abholzung von Bäumen gebieten wir damit auch ein wenig Einhalt.
Der schädliche Stress
Reizüberflutung führt zu Stress und Stress macht Gehirnzellen kaputt – das kann durchaus sein doch was hat das mit den digitalen Medien zu tun? Geht es dabei nicht eher um den Umfang von Stress mit digitalen Medien? Und das wiederum ist ein Problem des Menschen und nicht der digitalen Medien. Stress entsteht auf viele Weise, Ärger in Beziehungen (Schreibt deswegen jemand ein Buch dass Beziehungen Scheiße sind und zu Übergewicht führen?), Stress auf der Arbeit durch Leistungsdruck (Länger leben durch Harz 4 – schöner Beststeller-Titel….) oder auch Stress durch Mobbing (Jeder Mensch muss in die Einöde – geschrieben von Alm-Öhi). Stress gibt es seitdem es den Menschen gibt, da haben die digitalen Medien meines Erachtens überhaupt keine Schuld dran. Wenn es zu einer Informationüberflutung kommt, dann nutzt man einfach mal den Knopf und macht den PC aus. Fertig.
Internet ist Zeitverschwendung
Das Argument dass das Internet Zeitverschwendung ist, sehe ich wie Johnny Haeusler. Man muss auch mal alle Fünfe gerade sein lassen und Zeit verschwenden um die Batterien wieder aufzuladen. Man ist schon genug im Arbeitswahn und Zeitdruck von Job, Schule und Co. Da muss es einen Ausgleich geben. Und wenn der im Web genutzt wird, why not?
Sicher, man sollte nicht nur vor dem PC sitzen, man sollte als Jugendlicher viele Aktivitäten haben bei denen man sich bewegt aber alles im gesunden Maße ist meines Erachtens ok. Mal am Sonntag 5 Stunden zocken und dann noch 3 Stunden mit Kumpels Ball spielen und ein Brettspiel machen – alles klar. Tag ist rum, Kind ausgepowert. 🙂
Die jungen Leute wissen nichts mehr
Herr Spitzer wirft ein dass die Medienkompetenz vermutlich darin besteht, dass junge Leute wissen wen sie fragen müssen anstatt selbst ihre Fragen zu beantworten. Nun frage ich mich, worin liegt der Unterschied. Wenn man als Schüler ein Referat zu schreiben hatte, so ging man in die Bibliothek und fragte die Dame dort in welchem Buch man die Antwort findet. Heute ist eben Google die Dame und die Ergebnisse sind die Bücher. Hingegen muss man heute viel mehr seine Kompetenz nutzen um zu beurteilen ob die Ergebnisse “echt” und “sinnig” sind als früher, denn da nahm man als Schüler doch eher das gedruckte Wort als wahr statt es zu hinterfragen. Selbst als ich zur Berufsschule ging – wo das Internet zwar vorhanden aber bei weitem noch nicht so wie heute genutzt und verbreitet – sagte uns ein Lehrer: “Ihr müsst nicht alles was in den Büchern steht auswendig lernen. Aber Ihr müsst lernen wo es steht!” Genau dies Wissen was Herr Spitzer verurteilt, wurde von Lehrern schon lange gepredigt bevor das Internet als Informationsquelle diente.
Frühere Demenz dank Computer und Co.
Die These dass Menschen früher dement werden weil sie weniger denken da sie immer vor dem Computer und Co sitzen, halte ich für absolut verfehlt. Meines Wissens nach gibt es dazu keine einzige Studie die auch nur annähernd als qualifiziert gelten kann weil das Internet und Computer an sich dafür noch viel zu “jung” sind.
Der Computer bietet durch die Zugriffsmöglichkeiten und die ständigen Neuerungen eine unendliche Flut an Aktivitäten im Kopf, welche das Denken anreizen und trainieren. Meinungsbildung an allen Ecken des Webs. Ich selbst blogge, wie man ja hier gerade liest, und das tu ich bestimmt nicht ohne dass ich denke und meine grauen Gehirnzellen dabei trainiere. Der Computer ist nur eine Plattform, das Web nur eine neue Technik, die Grundprinzipien sind noch immer die Gleichen.
Wir sprachen früher über Rauchschwaden und Trommeln, dann über das Telefon und Briefe und nun kommunizieren wir über Skype und E-Mails und Chats. Grundlage bleibt immernoch die Kommunikation und der Austausch miteinander. Die Ansichten von Herrn Spitzer sind sehr einseitig, sie gehen nur auf den Menschen als reinen Konsumenten und Nutzer des Webs ein ohne auf die Erschaffer und Macher einzugehen. Jeder Mensch liefert auch Informationen ins Netz. Jemand schreibt eine Geschichte, jemand anderer gibt einen Kommentar dazu und liefert seine Meinung, der nächste greift es auf und erweitert das Ganze noch. Alle diese Personen haben doch dabei gedacht und ihre Gehirnzellen genutzt. Gerade das Web 2.0 fördert das Denken weil ein ständiger Austausch stattfindet.
Sollen Kinder bereits im Alter von 6 Jahren mit Computern Umgang haben?
Im gewissen Umfang ist dagegen meiner Ansicht nach nichts gegen einzuwenden. Computer sind heutzutage etwas selbstverständliches so wie Fernseher und Telefone. Kinder sollten nicht dauerhaft davor sitzen aber den Umgang damit sollen sie ruhig lernen genauso wie die Gefahren die damit einhergehen können. Ich selbst habe schon im Vorschulalter an meinem ersten Computer gesessen. Damals war es kein PC sondern ein C64 und mein Vater brachte mir mit Datasette das Rechnen bei. Ein Löwe half mir beim Rechnen lernen. Ich hatte sehr viel Spaß damit. Später gab es den Amiga und diesen nutzte ich fast ausschließlich als Spielcomputer. Dennoch bin ich später aufs Gymnasium gegangen und bin nicht “dumm” oder gar “süchtig” geworden. Ich denke, der geregelte Umgang mit Computern beugt einer Suchtgefahr sogar vor, Wer etwas nie durfte und dann Zugang erhält, wird meiner Meinung nach eher in die Gefahr einer Sucht laufen weil er exzessiv nachholen will was er früher verpasste..
Kinder lernen ab der 1 Klasse im Werkunterricht mit einem Hammer umzugehen
Hier wurde ein Computer mit einem Werkzeug verglichen. Herr Spitzer warf ein dass ein Hammer nicht süchtig mache. In Ordnung, muss ich ihm recht geben ABER nehmen wir ein Kartenspiel. Eltern lernen ihren Kindern schon früh Spiele wie MauMau oder Memory oder würfeln sogar mit ihnen. Kartenspiele können süchtig machen. Würfeln im Casino kann zur Sucht werden. Ok etwas weit hergeholt aber aber im Vergleich zur Argumentation von Herr Spitzer durchaus ein berechtigtes Argument..
Internetsucht ist eine Gefahr
Das Thema Sucht ist meines Erachtens bezüglich des Internets sehr schwer zu greifen, denn für mich erscheint es mir eher dass das Internet nur Zugang zu Suchtpotentialen gibt. So kann ein Spielsüchtiger leichter zocken, jemand leichter seine Geltungssucht ausleben und ein Pornosüchtiger – naja wir wissen ja was der tut…. Auch hier sehe ich den Computer und das Netz eher als Werkzeug welches nur Zugang zu den Suchterfüllungen bereitet und das Problem ist somit nicht das Netz an sich sondern eher findet sich das Problem im Menschen selbst.
Herr Spitzer behauptet dass wir in Deutschland kein Alkoholkompetenztraining in der Sekundarstufe 1 machen würden, hier muss ich deutlich widersprechen. Sehr wohl wird in den Fächern Werte & Normen, Religion und Sozialkunde schon in der Sekundarstufe 1 und teils sogar schon in der Primärstufe über Alkohol und den Umgang und die Folgen davon gesprochen. Ich selbst habe es im Alter von 8 Jahren im Religionsunterricht durchgenommen was Alkoholsucht ist und welche Gefahren vom Alkohol ausgehen. Ich sehe das durchaus als Alkoholkompetenztraining an.
Playstation daheim bringt Medienkompetenz
Ich finde es immer wieder interessant wie in der Diskussion doch die Onlinespiele mit dem allgemeinen Umgang mit dem PC zusammen geworfen werden. Herr Spitzer zieht hier anscheinend nie eine Trennung. Im Gegensatz zu Herrn Spitzer glaube ich durchaus dass eine Spielekonsole daheim die Medienkompetenz in Bezug auf Onlinespiele fördert. Wer von daheim bereits Onlinespiele auf einer Playstation spielte und da reglementiert wurde und es für denjenigen nur eine Spielform ist, wird sicher weniger in die Gefahr einer Spielesucht verfallen. Er hat bereits Erfahrungen im Onlinespielebereich gesammelt und kennt sich aus mit Kommunikation beim Spielen mit anderen Spielern und ist dadurch auch schon geschult was man dort sagen darf, was man unterlässt, wie man mit allem umgeht, wenn er von den Eltern hierbei von Anfang an geleitet wurde.
Verschwörungstheoretiker?
Manche Aussagen von Herrn Spitzer in der Sendung erscheinen mir wie die Aussagen eines Verschwörungstheoretikers was mich den Kopf schütteln ließ. Systematische Fehlinformierung – da klingelt es in meinen Ohren…..
Zu der Diskussion in der Sendung bleibt für mich übrigens nur noch eines zu sagen: Hut ab wie souverän Johnny Haeusler sich dort gab. Er musste sich nicht wie ein Rohrspatz laut schimpfend und wie ein Pitbull verbeißend aufführen um seine Meinung darzustellen. Hut ab für soviel Coolness und Souveränität. Und ebenfalls Hut ab Nilz Bokelberg für die kluge Entscheidung nicht mit Herrn Spitzer in einer Sendung auftreten zu wollen.