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Den “Nachlass” meiner Oma zu entsorgen, zieht sich nun schon einige Monate hin. Das Gröbste ist erledigt, der Kleinkram folgt. Nennt man es überhaupt schon “Nachlass”, wenn diejenige noch lebt? Ich weiß es nicht, aber heute soll es auch nicht um Begrifflichkeiten gehen sondern um etwas, was ich in den Habseligkeiten meiner Oma gefunden habe.

Mir fiel ein Buch in die Hand mit dem Titel “Das Heyne Gewürzbuch”. Das ist erstmal nichts Ungewöhnliches. Solche oder ähnliche Bücher finden sich zuhauf in den Haushalten alter und durchaus auch junger Damen. Kochbücher, Gewürz- und Gartenbücher, das sind normale Lektüren für die typische Hausfrau. Neugierig, wie ich bin, blätterte ich in dem Buch herum. “Wegwerfen oder behalten”, grübelte ich vor mich hin während ich über Thymian las, dass er gut zu Pilzen, Tomaten und Hülsenfrüchten passt und gern beim Würzen von Kartoffel-, Tomaten-, Erbsen-, Bohnen- oder Fischsuppen verwendet wird. Da fiel mir beim weiteren Blättern plötzlich ein Briefumschlag heraus. “Nanu, ein Brief? Was macht der darin?” Ein Blick auf den Stempel verriet mir, dass er bereits im Februar 1979 meiner Oma zugestellt wurde und faszinierender Weise auch noch ins frühere Schreibwarengeschäft, ohne Angabe einer Hausnummer. Damals kannten die Zusteller, als sie noch Postboten hießen, wohl ihre zu beliefernden Adressaten. 

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Ein Blick in den Umschlag

Als ich den Brief herauszog und zu lesen begann, musste ich Schmunzeln. Frau A. Kjelsgaard, Verlagsdirektorin der Meister Verlag GmbH München, schrieb meiner Oma, da sie von Annette Arensburg erfahren habe, dass meine Oma nicht mehr Kunde ihres Hauses sei. Und das obwohl die Kassette mit der Sammlung von Meisterkoch-Rezeptkarten doch noch gar nicht komplett wäre. So etwas komme recht selten vor, und sie wende sich nun persönlich an meine Oma um um ihre Mithilfe zu bitten, da weder sie noch Frau Annette Arensburg wissen, wieso meine Oma aus der Belieferung ausgeschieden sei.

Sie fragt, ob es sich um ein Missverständnis handle, oder ob ihnen ein Fehler unterlaufen sei, welcher die Stornierung zur Folge hatte. Sie erfragt, ob meine Oma eventuell keine Zeit hatte sich um die Meisterkoch-Rezepte zu kümmern, ob sie verreist, im Urlaub oder anderweitig verhindert gewesen sei.

Egal was auch immer der Grund sei, sie bittet darum Gelegenheit zu erhalten, eventuelle Missverständnisse oder Versäumnisse wieder gutzumachen oder mit einer kleinen Aufmerksamkeit ein herzliches Dankeschön zu sagen. Dafür sendet sie auch gleich einen Einladungsgutschein mit, welcher meiner Oma 24 neue Meisterkoch-Rezeptkarten schenkt, entweder zur Versöhnung oder als Abschiedsgeschenk, aber auf jeden Fall gratis und unverbindlich. Sie würde sich persönlich freuen, wenn meine Oma diese Einladung annähme und fände es bedauerlich wenn man “sang-und klanglos” und ohne eine nette Geste auseinander ginge.

2013-11-06 12.31.27Sie ist aber auch zuversichtlich, dass die 24 extra von Annette Arensburg zusammengestellten Karten meine Oma wieder auf den Geschmack bringen werde. Und fragt auch nochmal nach, ob meine Oma es nicht schade findet, dass ihre Sammelkassette nur halb gefüllt herumsteht und sie die “Kartothek der internationalen Küche” nicht komplett besitzt.

Schon deshalb sollte sie die 24 Gratiskarten sich noch holen und als weiteres Dankeschön gibt es noch das kostenlose Heyne Gewürzbuch als Geschenk dazu. Es wird einen großen Nutzen haben und ist eine feine Küchenhilfe.

Zuletzt weist Fr. Kjelsgaard noch daraufhin, welch Mühe sie sich doch geben meine Oma als zufriedenen Kunden ihres Hauses zu erhalten und dankt für die Aufmerksamkeit.

Wie kann ich mir das Vorstellen?

Die Kundenrückgewinnung ist immer ein Thema für Firmen, doch diese Form scheint mir heute ausgestorben. Zumindest habe ich in solch Tonfall, mit solch Intensität im Schreiben, noch keinen Kundenrückgewinnungsbrief gelesen. Spricht ein Verlag, ein Unternehmen an sich, heute noch so mit seiner Kundschaft? Gibt es diese Art der “Erhaltung der Kundenbindung” noch? Dass Mobilfunkanbieter mit Guthaben und neuen Handys bei Vertragsverlängerung wedeln, das kennen wir alle, doch Gratisbücher und Nachfragen ob man im Urlaub war?

Bei all dem stellt sich mir jedoch nur eine einzige Frage: Who the fuck is Annette Arensburg?

Das ging aus dem gesamten Brief leider gar nicht hervor. Sie scheint die Rezeptkarten persönlich zusammen zu stellen und muss wohl auch für die Kündigungsbearbeitung eingesetzt sein. Doch wie muss ich mir das vorstellen? Saß Fr. Arensburg morgens an ihrem Schreibtisch, öffnete die Kundenpost und fand das Kündigungsschreiben meiner Oma. Mit weit aufgerissenen Augen, mit dem Brief wedelnd, rannte sie zu Ihrer Chefin Fr. Kjelsgaard ins Büro und rief verzweifelt: “Sie hat gekündigt, sie hat wirklich gekündigt. Doch…doch… ihr Sammelkasten ist noch gar nicht voll!!! Was sollen wir nur tun?”

Hat Fr. Kjelsgaard die arme Fr. Arensburg dann erstmal zum neuen Zusammenstellen von Rezeptkarten geschickt, damit meine Oma ein Abschiedsgeschenk bekommt? Hat sie sie getröstet und ihr versichert, dass noch keiner ohne vollen Sammelkasten davon gekommen sei und sie einfach mal nachfragen werde? Haben die 2 bei Kaffee und Kuchen diesen Brief aufgesetzt und kopfschüttelnd sich immer wieder versichert, dass es nur ein Missverständnis sein kann?

Ich weißt es nicht….. aber eines weiß ich, die 2 Damen haben nie damit gerechnet, dass im Jahr 2013 eine Conny diesen Brief findet und sich fragt, ob sie noch genügend Thymian im Haus hat….

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