Oma sagte immer: “Ich will 100 Jahre alt werden.”
Ihr Lebensziel bestand immer darin. 100 Jahre alt werden. Einer ihrer größten Wünsche. Fragte man sie wieso sie mindestens 100 Jahre als werden wolle, erhielt man auch die passende Antwort:
”Weil ich einmal sehen möchte wie sehr sich die Welt in einem Jahrhundert verändert hat. Ich möchte mit 100 zurück blicken und mit der Zeit zu meiner Geburt vergleichen.”
Ein schöner Gedanke, wie ich immer fand. Doch wird es so nie passieren….
Das Alter und die Alzheimer-Krankheit haben Oma einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Vielleicht wird Oma 100 Jahre alt. Wissen kann man das nicht und darüber will ich hier auch nicht spekulieren, aber ihr Wunsch wird sich auch dann wenn sie tatsächlich 100 wird, nicht erfüllen.
Schon heute ist dieser Wunsch nicht mehr erfüllbar. Ach was schreibe ich, schon vor Jahren war er nicht mehr erfüllbar.
Oma begreift schon lange nicht mehr die Zukunftsentwicklungen. Sie begreift schon die heutigen Standards nicht mehr. Die Fortschritte in der Technik sind für sie ein Buch mit 7 Siegeln – das war auch schon vor der Demenz so.
Omas Wunsch die Zukunft mit der Vergangenheit zu vergleichen ist für mich sogar verwunderlich. Sie hat sich nie für Fortschritte interessiert. Sie nahm sie meist einfach hin. Computer und alles hat sie nie verstanden. Es interessierte sie nie. Bei E-Mails hatte sie Angst dass die jeder lesen kann und erfragte bei mir wie lange der Versand einer solchen E-Mail nach Amerika dauert. Dass Handys mehr als telefonieren können ist für sie immernoch unergründlich. Das Internet an sich ist für sie viel zu abstrakt.
Nun könnte man sagen, dass Oma nun mal nicht mit Technik klarkommt und nicht jeder kann ja bei allem mithalten und sich dafür interessieren. Aber es ist nicht nur der technische Bereich. Nehmen wir einmal das Telefon. Für Oma ist das Telefon schon ewig keine “Neuerung” mehr. Wenn Oma eine Frage hat zu einem Produkt, dann rennt sie zum Geschäft hin und fragt vor Ort nach – egal wie weit sie dafür laufen muss. Sie kommt gar nicht auf die Idee das Telefon zu benutzen. So war es schon immer. Sie hatten eben früher auch kein Telefon und da hat man eben auch im Laden direkt nachgefragt. So wird es eben gemacht.
Auch bei Neuerungen in anderen Bereichen wird entweder gestaunt und mit den Worten abgetan: “Du musst ja Geld haben” – oder aber sie schüttelt den Kopf und sagt: “Unsinn”. Eigentlich verschloss sie sich häufig jeder Art von Neuerung. Wenn etwas kaputt war, wurde lieber 300 DM für die Reparatur ausgegeben als 100 Euro um ein neueres und besseres Modell neu zu kaufen. Egal wie es aussieht, Hauptsache man kann es noch in irgendeiner Form benutzen. Da werden zerschlagene Tassen zu Blumenständern, Nagellack wird zum Dauertassenkleber jeglicher Art, mit einer Heißklebepistole wird Abgefallenes an alle möglichen Dinge wieder dran gebastelt und und und…..
Ich frage mich immer wieso sie die Zukunft erfahren will, wenn sie sie doch gar nicht nutzen will geschweige denn sie sich wirklich ansieht. Man muss wahrlich nicht der Erste sein der Neues ausprobiert und nutzt – das können sich schließlich die wenigsten Menschen leisten – aber man sollte doch zumindest auf dem Stand der Zeit sein. Jedoch wird einem irgendwann das Alter einen Strich durch die Rechnung machen – oder wie bei meiner Oma die Alzheimer Erkrankung.
Ich frage mich: “Was nützt der Wunsch 100 Jahre alt zu werden, wenn man die Gegenwart schon nicht mehr begreift?”
Ich möchte jedenfalls unter den Umständen, wie es bei Oma ist, nicht 100 Jahre alt werden. Mich stimmt es immer ein wenig traurig wenn ich von Oma höre dass sie 100 werden will, denn ich weiß so wie sie momentan ist, so wollte sie nie 100 werden. Sie wollte nie ein Pflegefall werden und nun ist sie einer. Sie wollte die Zukunft sehen und heute weiß ich, sie wird sie dann nicht begreifen. Aber eines tröstet mich: Sie selbst wird es wenigstens nicht merken, dass sich ihr Wunsch in der Form wie sie ihn ursprünglich dachte, sich nicht erfüllt.
Ines
Mein Opi ist vor zwei Wochen mit 92 Jahren verstorben. Er redete, sei ich mich erinnern kann davon, sterben zu wollen. Ich hätte schwören können, er würde uns alle noch überleben. Nun bin ich eines besseren belehrt worden. Zwar hat er sich nicht an einen Computer und moderne Technik rangetraut, aber für den Fortschritt hat er sich immer interessiert. Am meisten interessierte ihn die Raumfahrt und die Wissenschaft. Er hätte gern miterlebt, was noch so alles passiert. Aber auch er war am Ende dement und den Tod seiner Frau hatte er sowieso nicht besonders gut verkraftet. Ich glaube, Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei alten Menschen auseinander. Zuviel verändert sich, ehemalige Freunde und Bekannte sterben und der eigene Nachwuchs gründet eigene Familien und geht andere, neue Wege. Das ist schwer für unsere Omas und Opas…
Wobei, meine (andere) Omi ist jetzt auch fast 80, und sie arbeitet schon seit 10 Jahren oder so mit dem Computer – besser als ihre Tochter, meine Mutter… 😉
Ines
Achso, das mit dem 100 Jahre alt werden, kann ich absolut nachvollziehen. Meine (verstorbene) Oma hatte ein jahrelanges Krebsleiden. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, 80 Jahre alt zu werden. Am Ende, es ging ihr wirklich nicht mehr toll, hat sie dieser eine Wunsch irgendwie am Leben erhalten. Sie feierte ihren 80. Geburtstag und auf den Einladungskarten stand „ich habe es geschafft“. 81 wurde sie nicht mehr. Ich glaube, irgendwann brennt sich so ein Satz, wie „ich will sterben“ oder „ich will xyz alt werden“ so sehr in die Köpfe ein, dass ausgerechnet dieser Wunsch über die Jahre anhält, egal wie sinnfrei er dann ist…
Conny
Mein herzliches Beileid. Ja da stimme ich Dir zu. Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei alten Menschen sehr weit auseinander. Meine andere Oma ist was Computer angeht auch sehr aktiv und schreibt E-Mails und zockt lauter kleine Spiele am Pc.
Und stimmt das brennt sich irgendwann ein. Wobei sie einmal sagte wenn sie krank wäre und nicht mehr wüsste wer wo wie was dann will sie nicht so alt werden. Aber das war ein seltener klarer Moment in dieser Richtung.
Ines
Haha, ja, als mein Opi noch gesund war, sagte er, wenn er in die Stube kackt, dann sollen ihn seine Kinder in ein Heim stecken. Gut, er hat zwar nicht in die Stube gekackt, aber er hat durchaus Kot in der Wohnung an stellen gehabt, wo er nicht hingehört. Er hat sich aber trotzdem gegen sämtliche Hilfe geweigert. Nungut, letztlich ist er gegangen, das war sicher besser so, wer weiss wie das sonst noch geendet wäre. Seine Kinder hatten schwierigkeiten, sich gegen den dominanten Vater durchzusetzen – Demenz hin oder her.
Steph85
Mein Opa hat auch Demenz, er ist jetzt 85 und wir wissen das erst seit kurzem. Allerdings waren die Anzeichen schon länger da, aber es wollte natürlich keiner so richtig wahrhaben. Er baut schon lange stetig ab, interessiert sich nicht mehr für seine Umwelt, will nicht mehr rausgehen (außer zum Wein kaufen…), verwechselt ständig Namen usw.
Es ist für die Familie gerade wirklich schlimm, vorallem, weil meine Oma (noch) keine Hilfe annehmen will, sie meint, sie schafft das alleine mit ihm…und der Rest der Familie ist auch sehr hilflos…
Was Wünsche angeht, sagt mein Opa schon seit einigen Jahren, dass er mit dem Leben abgeschlossen hat…für uns alle schwer begreifbar und wir wissen nicht wie wir mit der Situation umgehen sollen…
Na ja schon ne sehr traurige Sache das alles, altwerden kann so schwer sein und ganz anders ablaufen, als man es sich wünscht…und wenn ich dann dran denke, wie lange wir eigentlich arbeiten müssten, da haben wir dann gar nichts mehr von der freien Zeit im Alter, weil wir dann wahrscheinlich schon komplett hinüber sind…
Conny
Hallo Steph,
ja anfangs will man es nicht merken oder kann es einfach nicht merken. Diejenigen verstecken die Anzeichen ja auch gut und man denkt eben „Das Alter halt“.
Ja im Endeffekt hat man nicht viel vom Rentenalter weil die meisten es entweder nicht erleben oder dann zu krank sind. Schon traurig irgendwie. Aber genau deswegen muss man sich merken, dass man im JETZT leben muss.
Lg