Also nun gehts wirklich los mit Oma…..
Sie stand eben vor der Tür.
"Opa lässt fragen ob Du die Schublade reparieren kannst."
Mein Opa ist jedoch schon seit 2004 verstorben…..
Auf Nachfrage erzählte sie, sie habe eben mit Opa in der Firma telefoniert. Ich weiß, sie hatte eben mit ihrem Sohn telefoniert. Sie wollte nun "Vattern" anrufen um ihm zu sagen dass ich die Schublade heil mache. Da sagte ich ihr dass sie das nicht brauche, denn Opa sei doch schon lange tot. Das wisse sie, aber ich solle sie mal machen lassen, sie würde das schon erledigen.
Surreal….. man steht hilflos dabei und hofft die Klippen umschiffen zu können.
Mein Mann nahm mich dann in den Arm und meinte zu mir: “Ach Schatz, ist nicht so einfach oder?”
Er wollte mich trösten, doch ich brauchte in dem Moment gar keinen Trost. Ich war gar keiner Empfindung fähig. Einzig ein Gedankenstrom darüber was diese neue verstärkt auftretende Form des Vergessens nun für uns bedeutet und wie damit umgehen, floss durch meinen Kopf. Ein Gefühl von Ohnmacht dem immer stärkerem Vergessen gegenüber. In Sekundenbruchteilen rasten Fragen durch meinen Schädel.
- Wie damit umgehen?
- Welche Reaktionen meinerseits beruhigen Oma am Besten?
- Dass jemand tot ist ansprechen – Ja oder Nein?
- Was kommt als nächstes?
- Wie nah sind wir schon dem Moment sie in ein Heim zu geben?
- Wie sicher können wir sie noch betreuen?
Sie hatte meinen Bruder vor 2 Tagen mit dem Namen meines Vaters angesprochen. Hatte vergessen, dass mein Bruder geheiratet hatte und dauerhaft vergessen dass ihre Cousine und deren Lebensgefährte auch schon verstorben sind. Dass sie ihre eigene Mutter immer wieder für lebendig hielt, war schon länger der Fall und auch dass meine Ma ihre Schwiegermutter sei. Doch nun steht auch Opa von den Toten wieder auf – was vollkommen neu ist.
Macht es mich traurig dass ich diese surrealen Momente mit ihr erlebe? Ja durchaus – aber nie in dem Moment wo sie passieren, weil ich da viel zu sehr im “Betreuungsmodus” bin. Ich habe da keine Zeit und Luft für irgendwelche Gefühle der Traurigkeit. Ich denke zu sehr daran wie mit der Situation umgehen und sie aus dieser heraus bekommen. Erst später wie jetzt beim Schreiben dieses Artikels sinniere ich darüber nach wie furchtbar ich mir ihre Situation für sie selbst vorstelle und selbst nie in diese Krankheit rutschen will. Doch in dem Moment wo ich es niederschreibe, ist dieser Moment auch wieder vorbei. Es nützt niemandem wenn ich mich damit belaste.
Einzig die Kralle der Angst ist immer da, die sich um mein Herz legt, wenn sie wieder jemanden für lebendig hält, der schon lange von uns gegangen ist. Diese Angst davor mitansehen zu müssen wie sie unter einer erneuten Trauer leidet, wenn sie begreifen sollte dass jemand Geliebtes tot ist. Bisher musste ich diese Trauer nie nochmal sehen. Ich bin immer erleichtert wenn sie dann sagt, das weiß ich doch, dass derjenige tot ist. Aber die Angst davor bleibt dennoch. Und es ist auch kein Wunder, dass diese Angst an mir nagt, war ich es doch die Oma damals mitten in der Nacht im Nachthemd sagen musste, dass ihr jüngster Sohn – mein Vater – tot ist……
Wiege
Hallo Conny,
meine Omi hat immer ihren Koffer gepackt und wollte ihre Mutter besuchen. Ich habe ihr dann erklärt, dass ihre Mutter schon seit langer Zeit nicht mehr lebt, woraufhin sie oft sehr geweint hat. Es war furchtbar.
Sie hat anderen Menschen meinen Bruder als ihren Bruder vorgestellt, beim Essen ihr Gebiss aus dem Mund genommen und damit in ihrem Teller herumgerührt und ähnliches mehr.
Als sie anfing, fremde Leute in ihre Wohnung zu lassen (eine Nachbarin hat uns darüber informiert, sie hatte bei meiner Omi geklingelt und die hat sie herein gebeten, obwohl sie offensichtlich nicht wusste, wer sie war), haben wir sie in ein Heim geben müssen.
Dort hat sie sich nach wenigen Wochen beim Aufstehen aus dem Bett den Oberschenkelhals gebrochen und ist dann nach einer Hüftoperation im Krankenhaus gestorben.
Was mich in der ganzen Zeit so traurig gemacht hat, war, dass meine Omi so eine feine Frau gewesen ist, immer wie aus dem Ei gepellt und sehr auf gutes Benehmen bedacht – und am Ende hat sie ständig irgendetwas gemacht, für das sie sich ohne Ende geschämt hätte, wenn sie noch bei Verstand gewesen wäre (obwohl sie es dann natürlich nicht gemacht hätte, aber du verstehst sicher, wie ich das meine).
Es ist unendlich traurig, wenn ein geliebter Mensch sich so verändert und man selbst total hilflos ist – ich kann nachempfinden, was du gerade erlebst.
Viele Grüße,
Wiege
Conny
Meine Oma war ihr lebenlang auch immer gut gekleidet und wie aus dem Ei gepellt. Sie legte viel Wert auf gute Kleidung und Aussehen. Von dem Gedanken dass sie so früher nie rumgelaufen wäre, habe ich mich schon lange befreit. Da bin ich einfach schon zu lange drüber weg, denn schon vor 8 Jahren begann sie damit unmögliche Kombinationen zusammen zu stellen. Da hatte ich mich somit schon vor der offensichtlichen Erkrankung mit abgefunden.
Aber ja man ist hilflos der Erkrankung ausgeliefert und reagiert immer nur soweit man kann. Es ist mein Horror dass Oma genauso wie Deine Oma dann reagiert. Das wäre für mich am Schwesten. Wenn sie weinend dasitzen würde, das würde mich wirklich fertig machen. Bisher toi toi toi blieb es mir erspart. Sie reagierte immer locker oder mit Wut und Aggressionen.