Anzeige

Als ich gefragt wurde, ob ich gern das Buch „Geboren in Berlin 1939“ von Lieselotte Hoffmann lesen möchte, war ich direkt Feuer und Flamme. Meine Großtante Tata ist 1938 geboren worden und meine Oma sogar 1930 und ich weiß von den beiden, wie schrecklich, schön, spannend und gefährlich ein solches Leben verlaufen kann. Als ich dann noch erfuhr, dass Lieselotte nicht nur im zweiten Weltkrieg geboren wurde, sondern auch noch in der DDR aufwuchs, war ich erst recht interessiert.

Kurzbeschreibung

Lieselotte wurde im zweiten Weltkrieg geboren. Sie erblickte das Licht der Welt zwischen Bombenhagel und Flucht, umgeben von Trümmern der Hauptstadt. Sie erlebte Berlin vor dem Mauerbau und nach dem Mauerbau und geriet ins Visier der Staatspolizei. Zwei ihrer eigenen Kinder flüchteten später aus der DDR. Heute lebt sie in Hamburg und blickt dankbar auf ihr Leben zurück. Sie erlebte viele menschliche Tragödien, berichtet von Glücksmomenten und banalen – oder vielleicht doch nicht so banalen – Alltäglichkeiten. Aber sie erlebte auch unfassbaren Schmerz und erlitt Tragödien, die sie jedoch alle überwand.

Meine Leseerfahrung

Ich startete das Buch voller Neugier. Wie war das so damals vor so langer Zeit. Wie erlebte jemand die Zeit als meine Oma ein Kind war und als meine Tata gerade geboren war. Wie war das so im Krieg aufzuwachsen mit dem falschen Weltbild der damaligen Zeit? Wie viel bekam man als Kind mit?

Das Buch startet zunächst mit kleinen Erzählungen über die Großeltern und Eltern von Lieselotte. Was sie machten, wie sie waren, wie insgesamt die Familienverhältnisse waren und wie es dazu kam, dass Lieselotte geboren wurde. Ich fand den Einblick spannend und erinnerte mich sehr stark an die Familiengeschichten meiner Oma über ihre Eltern und Geschwister. Anekdoten, wie über die Puppe, das Buch und ein Löffel voller Salz, ließen mich liebevoll an die Schwesternrivalität zwischen meiner Oma und Tata denken. Man liebte sich und doch…. gab es eben auch einen Löffel Salz.

Lieselotte bleibt in ihrer Erzählung über ihr Leben weitestgehend linear. Hier und dort bricht sie kurz – als allwissender Erzähler – aus dem Verlauf aus und wirf Zukunftserfahrungen mit hinein. Dies macht es leichter ihrer Leben zu folgen, statt sich später zurück erinnern zu müssen. Ich finde das sehr treffend eingebunden.

Der Leser erfährt, wie es damals zuging. Wohnungen waren beengt, man wohnte zusammengewürfelt. Man zog von der Stadt aufs Land, kam bei Verwandten unter und versuchte wieder was eigenes zu finden. Besitz wurde verfeuert, damit man nicht erfror. Das Leben war nicht leicht. Sie berichtet von Kriegsverbrechen, von Plünderungen und Vergewaltigungen durch die „Befreier“. Da lief es mir eiskalt über den Rücken als sie erzählte, wie es ihre eigene Mutter traf und diese trotz ihres strengen Glaubens eine Abtreibung vornehmen ließ.

Als Lieselotte älter wurde und einen Österreicher heiratete, war das nicht unproblematisch. Die Staatssicherheit der DDR fand das weniger lustig und sie wurde zur Scheidung gedrängt. Der Einblick, wie das Leben in der DDR vom Staat bestimmt war und welche Angst einem im Nacken saß, kommt trotzt damaliger Naivität von Lieselotte mehr als gut rüber.

Mit ihrem zweiten Mann bekam Lieselotte drei Kinder,wovon zwei später in den Westen flüchteten. Als die Mauer fiel, war die Wiedervereinigung somit auch für ihre Familie eine Wohltat. Dennoch hielt das Leben noch weitere Schicksalsschläge für sie bereit. Der Tod ihres Mannes war einer davon. Der Verlust ihrer Tätigkeit kurz vor der Rente ein anderer. Ihre Liebe zum Schrebergarten erinnerte mich auch stark an meine Oma. Sie liebte den Garten meines Onkels so sehr. Auch Tata hatte lange einen Schrebergarten. Gemeinsam war die Familie am Wochenende gern dort. Und so erging es auch Lieselotte mit ihrer Familie und ihrem Garten.

Abschließende Meinung

Lieselotte berichtet ihre Lebensgeschichte mit dem Abstand eines ganzen Lebens. 80 Jahre Lebensweisheit blicken zurück auf jugendliche Naivität und starken Willen. Sie blickt nüchtern auf ihr Leben zurück, doch auf keinen Fall gefühllos. Sie berichtet teils sehr trocken über die schlimmsten Dinge, doch genau darin liegt die Stärke ihres Buches. Das Grauen muss sie nicht bis ins kleinste Detail beschreiben. Als Leser liest man es heraus, ohne dass sie mit unzähligen Adjektiven des Kummers darüber schreibt. Sie muss nicht erwähnen wie schrecklich manche Dinge waren, man weiß es einfach. Man spürt es.

Ich kann das Buch guten Gewissens empfehlen, zumindest wenn Euch interessiert, wie das damals so in Deutschland und der DDR war. Die Parallelen zu meiner eigenen Verwandtschaft gleicher Generation sind interessant und das Lesen des Buches half mir den Blick in meine eigene Familienvergangenheit zu vertiefen.

Wenn Ihr ältere Begriffe der deutschen Sprache mögt, wird Euer Herz bei diesem Buch einen Freudensprung machen, denn es verstecken sich darin sprachliche Perlen früherer Zeit. Für diejenigen, die ältere Ausdrücke nicht kennen, bietet der Glossar eine Hilfe.

Lieselotte hat in ihrem Leben viel Gutes und viel Schlechtes erlebt. Tragödien und Glückmomente. Und sie hat niemals aufgegeben oder sich hängen lassen. Ihr Leben ist ein Zeitzeugnis, das sich zu lesen lohnt.

Danke Lieselotte, dass Du mich an Deinem Leben hast teilhaben lassen.

Share :